Sinnvolle und weniger sinnvolle Maßnahmen gegen Motorradlärm

Sinnvolle und weniger sinnvolle Maßnahmen gegen Motorradlärm

Adjan Hansen-Ampah, MOTO e.V.

Seit der Drucksache 125/20 des Bundesrats und der Etablierung des „Tiroler Modells“ der Streckensperrung für Motorräder in unserem südlich gelegenen Nachbarland tobt ein regelrechter Kleinkrieg auf Deutschlands kurvigen und hügeligen Straßen.

Auf der einen Seite stehen Anwohner, die im Zuge der Transformation des Mobilitätssektors und nach jahrelanger oder gar jahrzehntelanger Beschallung durch Verkehrs- und insbesondere Motorradlärm für ein Recht auf Ruhe kämpfen. Auf der anderen Seite stehen die Motorradfahrer[1], die sich durch die häufig genannten „schwarzen Schafe“ falsch repräsentiert sehen und – in eigener Wahrnehmung – ungerechtfertigterweise um ihr Hobby oder gar einziges persönliches Fortbewegungsmittel fürchten müssen. Als Waffen in diesem Kleinkrieg führen beide Seiten Argumente für bzw. gegen Lärmschutzmaßnahmen wie Geschwindigkeitsbegrenzungen für Motorräder oder Streckenverbote auf.

In diesem Artikel sollen solche Lärmschutzmaßnahmen kritisch diskutiert werden. Dazu wird zunächst der Verkehrssektor als transformationsbedingter Austragungsort eines gegenwärtigen Kulturkampfes skizziert. Darauf folgt der Versuch einer vereinfachten Formalisierung des Lärmempfindens sowie die Abgrenzung zum Schalldruckpegel. Im dritten Schritt werden verschiedene Lärmschutzmaßnahmen, wie bspw. vom Verein Silent Rider vorgeschlagen, beschrieben und auf ihre potenzielle Wirkung bezüglich des Lärmempfindens hin bewertet. Zum Schluss wird ein Fazit gezogen.

Motorradlärm im Kontext eines mobilitätsbezogenen Kulturkampfes

Mit steigender öffentlicher Bedeutung des Nachhaltigkeitskonzeptes wuchs auch das, was begrifflich darunter verstanden werden kann. Bezogen sich frühe Definitionen des Begriffs, heranzuziehen wäre bspw. die häufig zitierte Definition nachhaltiger Entwicklung des sogenannten Brundtland-Berichts[2], noch auf den ressourcenbezogenen Schutz nachfolgender Generationen, ist der heutige Begriff geprägt von einer unübersichtlichen Multidimensionalität. Auf den meisten Prioritätenlisten werden zwar der Klima- und Umweltschutz im Sinne reduzierter CO2-Emissionen ganz oben zu finden sein, aber auch der gesundheitliche Schutz heutiger Generationen spielt eine wichtige Rolle im Nachhaltigkeitskomplex. So ist zu erklären, warum ältere aber relativ CO2-arme Diesel zugunsten stickoxidärmerer Wagen aus unseren Großstädten verbannt wurden und auch warum der Verbrenner allgemein zugunsten lokal emissionsfreier Fahrzeuge wie batterieelektrisch oder brennstoffzellenangetriebener Autos mittel- bis langfristig verschwinden soll. Gleichzeitig soll der Individualverkehr im Namen der Nachhaltigkeit verlangsamt werden, sowohl innerhalb als auch außerhalb unserer Städte. Dieser Wandel des Mobilitätssektors wird vor allem von den jüngeren Generationen, insbesondere von der sogenannten Generation Z, vorangetrieben. Diese Generationen leben vor allem urban und können aufgrund eines gut ausgebauten ÖPNVs und kurzer Strecken problemlos auf ein Auto verzichten. Dementsprechend fordern sie weitestgehend autofreie Städte; Der pandemiebedingte „Rush auf‘s Fahrrad“ verleiht dieser Forderung Nachdruck und führte in einigen Städten bereits dazu, dass dem Auto Verkehrsraum entrissen wurde.

In den Vororten bzw. auf dem Land hat sich hingegen die „Generation Golf“ niedergelassen, die weiterhin auf das Auto angewiesen bleibt.

Vor dem Hintergrund des angedeuteten Kulturkampfes mag es zwar zunächst abwegig erscheinen, dass die Gegensätze Stadt vs. Land, jung vs. alt, ÖPNV/Fahrrad vs. Auto einfach überbrückt werden können, aber genau dies geschieht gegenwärtig bezüglich Motorradlärm. Auf dem Land möchte man zwar weiterhin Auto fahren, aber als Hauptleidtragende von Motorradausflügen möchte man zumindest zuhause Ruhe genießen können. In der Stadt kämpfen Teile der Bevölkerung ohnehin für eine Beruhigung bzw. Verdrängung des Kraftverkehrs, Lärmschutzmaßnahmen gegen Motorradfahrer fügen sich da gut ins Bild.

Motorradlärm – eine Annäherung

Es lässt sich also feststellen, dass Verkehrs- bzw. Motorradlärm ein generationenübergreifend wahrgenommenes Problem darstellt. Was allerdings bedeutet Verkehrslärm? Was konstituiert Motorradlärm? „Das ist ja wohl offensichtlich!“ wird es aus dem einen oder anderen Volksmund herausschallen: „Verkehrslärm ist Lärm, der im Allgemeinen durch Verkehr und Motorradlärm ist Lärm, der speziell durch Motorräder entsteht“.

So trivial wie hier dargestellt sind die Begriffe allerdings nicht. Dies wird schon allein durch die Differenzierung zwischen Nachbarschafts-, Gewerbe- und Straßenverkehrslärm ersichtlich.[3] Auch Abseits von solchen administrativen und juristischen Setzungen sind die Begriffe alltagssprachlich diffus. Wenn man den letzten Teil der beiden Komposita nachschlägt, erhält man z.B. Folgendes: „als störend und unangenehm empfundene laute, durchdringende Geräusche“.[4] Demnach kann konstatiert werden, dass Lärm ein Empfinden ist, das in vielen Fällen vom jeweiligen Subjekt abhängt. Was der eine als Lärm empfindet, könnte dem anderen nicht laut genug sein. Daraus folgt, dass das Lärmempfinden als Phänomen nur sehr schwer fassbar ist.

Die Psychoakustik nimmt sich dieser schweren Aufgabe an und wird beschrieben als „eine Ingenieurwissenschaft […], welche eine Verbindung zwischen den objektiv messbaren, physikalischen Größen eines Reizes und den durch den Reiz subjektiv hervorgerufenen Empfindungen beim Menschen herstellt“.[5] Ob Ingenieurwissenschaftler, womöglich völlig ohne human- und sozialwissenschaftliche Bildung, mit physikalischen Größen überhaupt an den Kern des Problems gelangen, sei zunächst dahingestellt. Interessant sind die hergestellten Zusammenhänge allemal: Die sogenannte psychoakustische Lästigkeit wird von vier physikalisch messbaren Empfindungen bestimmt: Lautheit, Schärfe, Schwankungsstärke und Rauigkeit, wobei die Schwankungsstärke im Straßenverkehr laut Untersuchung des Umweltbundesamtes keine Rolle spielt.[6] Die für die Lästigkeit im Straßenverkehr wichtigen drei Größen werden zunächst kurz dargestellt[7], bevor die Lästigkeit selbst als Konzept diskutiert wird.

Lautheit:

Die empfundene Lautheit wird einerseits vom objektiv messbaren Schallpegel (zumeist in dB gemessen) eines Geräuschs bestimmt – diese physikalische Größe wird im Verlauf dieses Artikels eine entscheidende Rolle spielen. Andererseits ist neben dem Schallpegel allerdings auch die Frequenz des Geräuschs entscheidend, sodass „ein Geräusch mit ein und demselben Pegel durchaus unterschiedliche Lautheiten hervorrufen“[8] kann. Die subjektiv wahrgenommene Lautheit wird in sone gemessen und ist im Gegensatz zur Skalierung des Schallpegels linear: „so bedeutet eine Verdopplung des Zahlenwerts auch tatsächlich eine Verdopplung der Empfindung“[9].

Rauigkeit

Unter Rauigkeit wird ein „raues, schnarrendes Geräusch“[10] verstanden, das durch eine hoch frequentierte, vom menschlichen Gehör nicht mehr folgbare Modulation der Amplitude eines Tons entsteht. Diese Modulation wiederum entsteht u.a., wenn gleichzeitig Töne mit „nah benachbarten Frequenzen“[11] erzeugt werden, was bei Verbrennungsmotoren (in Abhängigkeit von der Zylinderkonfiguration) der Fall ist. Die Rauigkeit wird in der physikalischen Einheit asper angegeben, welche noch nicht in Form einer Norm standardisiert wurde.

Schärfe

Die in acum gemessene Schärfe wird vor allem von der sogenannten „spektrale[n] Zusammensetzung eines Geräuschs“[12], aber auch zu einem gewissen Teil vom Schallpegel bestimmt. Der wahrnehmbare Effekt eines scharfen Geräuschs wird mitunter als „Zischen“ charakterisiert.[13]

Ein großes Verdienst der Untersuchung des Umweltbundesamtes ist die auf quantitativen Daten fußende Erkenntnis, dass nicht allein die Lautheit und erst recht nicht der Schallpegel über die Lästigkeit eines Fahrzeuggeräuschs bestimmt. So steigt bei der untersuchten Harley nach der illegalen Modifikation des Schalldämpfers vor allem die Rauigkeit, die, zusammen mit der Anhebung der Schärfe und Lautheit, für eine sehr hohe Lästigkeit sorgt. Auch wird deutlich, dass der Fahrstil einen starken Effekt auf die gemessene Lästigkeit hat.[14]

Gleichwohl ist zu konstatieren, dass dieser auf physische Messgrößen beruhende quantitative Ansatz – typisch für die ingenieurwissenschaftliche Haltung in sozialen Fragen – einen ungerechtfertigten Anspruch auf Universalität erweckt. Es kann schließlich nicht davon ausgegangen werden, dass Fahrzeugentwickler etwa besonders lästige Fahrgeräusche entwickeln möchten, oder dass alle Käufer die Geräusche ihrer Fahrzeuge als lästig empfinden. Im Gegenteil ist ja geradezu davon auszugehen, dass so manche nach den Messkriterien der Psychoakustik mit einer hohen Lästigkeit versehene Geräusche von gewissen Personen als angenehm und wünschenswert empfunden werden. Dies wird auch in den Herstellerangaben deutlich, die im Bericht des Umweltbundesamtes zitiert werden. Gleichzeitig ist denkbar, dass Geräusche, die nach den Kriterien der Psychoakustik nicht als lästig empfunden werden, trotzdem nicht universell auf Zuspruch stoßen – man denke nur an unterschiedliche Musikgeschmäcker!

Wenn also der o.g. Lärmbegriff erneut vor Augen geführt wird, ist davon auszugehen, dass u.a. auch soziokulturelle Faktoren darüber bestimmen, ob ein Geräusch als Lärm aufgefasst wird (oder eben nicht). In der Lärmdefinition des Dudens sind zwei zueinander in Beziehung stehende Faktoren wesentlich. Einerseits wird das betreffende Geräusch als störend und unangenehm empfunden (subjektiver Faktor). Andererseits ist die Lautstärke des Geräuschs mitentscheidend (objektiverer Faktor). Daraus lässt sich ableiten, dass das Lärmempfinden – stark vereinfacht – als Produkt dieser beiden Faktoren aufgefasst werden kann:

Lärmempfinden = Geräuschabneigung x Geräuschlautstärke

In die Geräuschabneigung fließt die Lästigkeit als ein Faktor hinein, allerdings gibt es sicherlich auch andere, nicht eindeutig messbare Faktoren wie eben soziokulturelle – manche Geräusche sind bspw. gesellschaftlich und kulturell eher akzeptiert als andere -, persönliche Faktoren wie z.B. die Lärmempfindlichkeit oder der persönliche „Geschmack“ und soziale Faktoren wie die Einbindung in bestimmte Subkulturen etc. Es kann angenommen werden, dass die wahrgenommene Geräuschlautstärke vor allem von der Lautheit bestimmt wird, aber vermutlich wird die Geräuschabneigung in einigen Fällen die subjektiv wahrgenommene Geräuschlautstärke noch mal erhöhen.

Aus dem aufgestellten Produkt folgt, dass das Lärmempfinden ausgeprägter ist, je größer die Abneigung für ein gewisses Geräusch und je höher dessen wahrgenommene Lautstärke ist. Ferner kann angenommen werden, dass ein Geräusch nicht in medizinisch bedenkliche Schallpegelregionen vorstoßen muss, um als Lärm wahrgenommen zu werden und – salopp ausgedrückt – auf die Nerven des Hörers zu gehen. Es reicht je nach Abneigung vermutlich bereits ein Schalldruckpegel, der das Geräusch von der Umgebungslautstärke abheben lässt.

Im öffentlichen Diskurs und in verschiedenen Forderungen wird diese Geräuschabneigung bislang nicht thematisiert. Nicht einmal die Lästigkeit wird erwähnt. Dies ist ob der Komplexität der Thematik nur allzu verständlich. Stattdessen fokussieren sich die Forderungen und Diskussionen auf den Schalldruckpegel. In diesem Zusammenhang werden häufig Schallpegelgrenzwerte aus den Bereichen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes übernommen, denen allerdings andere Annahmen zugrunde liegen als das Lärmempfinden oder die Lästigkeit. Die Faktoren, die im Gesundheitsschutz eine Rolle spielen, sind nicht etwa Geräuschabneigung und Geräuschlautstärke, sondern Schalldruckpegel und Zeit. Vereinfacht ausgedrückt: Je höher der Schallpegel eines Geräusches ist und je länger dieses andauert, desto wahrscheinlicher und gravierender sind die physischen und ggfs. psychologischen Traumata.[15] Demnach ist der Besuch eines mehrtägigen Musikfestivals ohne Gehörschutz gesundheitlich bedenklich, auch wenn die Besucher die Beschallung sicherlich nicht als Lärm empfinden.

Die bisherige Konsequenz für die öffentliche Beurteilung von Motorradlärm ist der kuriose Ansatz, vom Lärmempfinden entnervte Anwohner durch Lärmschutzmaßnahmen zu befrieden, die dem Gesundheitsschutz dienen. Dabei zeigt die bereits genannte Studie des Umweltbundesamtes sowie auch eine schweizer Studie[16], dass Motorräder bei angepasster Fahrweise nicht gravierend lauter sind als Autos, aber auch „dass das subjektive Geräuschempfinden nicht mit den Messwerten in dB(A) korrespondiert“[17].

Vermeintlicher Lärmschutz

Wie zuvor dargelegt, gibt es einen Unterschied zwischen dem Schallpegel, der Lästigkeit und dem Lärmempfinden, wobei angenommen wird, dass alle drei Größen in gewisser Weise in Beziehung zueinander stehen. Die nun im Zuge der Motorradlärmdebatte vorgeschlagenen Lärmschutzmaßnahmen zielen jedoch vor allem auf die Reduktion des Schallpegels und lassen sich grob in drei Kategorien einteilen:

1. Lärmschutz durch Ausschluss von Motorrädern

2. Lärmschutz durch technische Vorkehrungen am Motorrad

3. Lärmschutz durch verändertes Verhalten von Motorradfahrern.

Werden zunächst juristische Fragen und Fragen der Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit ausgeblendet, bleibt festzustellen, dass die Maßnahmen der ersten Kategorie, mit gewissen Abstufungen, zweifellos die effektivsten sind – wenn keine Motorräder fahren, entsteht auch kein Motorradlärm.

Zur radikalsten dieser Maßnahmen gehört die Forderung der Drucksache 120/25 des Bundesrates, die die Möglichkeit der zeitlich beschränkten Fahrverbote für sämtliche Motorräder mit Verbrennungsmotor vorsieht. Dies käme einer teilweisen Enteignung der Motorradfahrer gleich, wobei perfiderweise davon auszugehen ist, dass die Steuerlast der Eigentümer sich durch solche Fahrverbote nicht verringern würde.

Als etwas weniger radikal aber ähnlich problematisch präsentiert sich das „Tiroler Modell“, das Streckensperrungen für eine vermeintlich laute Teilmenge von Motorrädern vorsieht. In der konkreten Umsetzung beschloss die namensgebende Region Österreichs, einige beliebte Motorradstrecken für Motorräder mit einem Standgeräusch > 95dB zu sperren. Problematisch an dieser Umsetzung ist aus technischer bzw. wissenschaftlicher Sicht nicht nur, dass einzig der Schallpegel für die Beurteilung des Lärmempfindens herangezogen wurde, sondern, dass selbst der tatsächliche Schallpegel eines fahrenden Motorrads nicht adäquat durch das Standgeräusch abgebildet und adressiert wird. Das Standgeräusch ist eine standardisierte und praxisferne Vergleichsgröße, die lediglich der relativ einfachen Überprüfung des ordnungsgemäßen Zustands der Schalldämpferanlage dient. Der Wert wird in 50cm Entfernung zum Endschalldämpfer gemessen, während der Motor im Stand auf halber Nenndrehzahl (Drehzahl bei höchster Leistung) gehalten wird (sofern die Nenndrehzahl mehr als 5000UpM beträgt, ansonsten wird der Motor auf dreiviertel Nenndrehzahl gehalten). Wie die Messungen der o.g. schweizer Forscher nahelegen, bleiben legale Motorräder, die im Sinne des Standgeräuschs als (zu) laut deklariert werden, bei umsichtiger Fahrt weit unter dem willkürlich gesetzten 95dB-Grenzwert.[18] Gleichzeitig können Motorräder, die im Sinne des Standgeräuschs als relativ leise gelten, aufgrund freier Gang- und Drehzahlwahl auch mit hoher Lautstärkeemission gefahren werden. Sollte in Tirol also festgestellt werden, dass das Lärmempfinden seit Einführung der Maßnahme abnahm, liegt der Schluss nahe, dass dies nicht dadurch bedingt wurde, dass laute Motorräder ausgesperrt wurden. Vielmehr ist zu vermuten, dass die bloße Verringerung der Durchfahrtsfrequenz und/oder eine – aufgrund der medialen Aufmerksamkeit und Sensibilisierung – angepasste Fahrweise, sozusagen als Drittvariablen, zu der für Anwohner positiven Entwicklung führten.

Zu den technischen Vorkehrungen gehören Maßnahmen, die die maximal mögliche Lautstärkeentwicklung (im Sinne des Schalldrucks) von Motorrädern begrenzen sollen. Hier sind zwei Forderungen, die u.a. vom Bundesrat gestellt wurden, von zentraler Bedeutung. Zum einen wird gefordert, dass Motorradhersteller eine werksseitige Lautstärkebegrenzung auf 80dB umsetzen und garantieren sollen – wohlgemerkt in allen Fahrzuständen. Zum anderen sollen „Motorsteuerungen an Motorrädern [verboten werden], die individuell vom Fahrer einstellbare Soundkulissen („Sound-Design“) ermöglichen und durch welches störende und belästigende Geräusche erzeugt werden können“[19]. Beide Forderungen sorgen beim technisch versierten Motorradfahrer für Verwunderung, im ersten Fall wegen fehlender technischer Umsetzbarkeit, im zweiten Fall wegen der faktischen Irrelevanz der Forderung.

Zu den Fahrgeräuschen eines konventionell angetriebenen Motorrads gehören u.a. das Ansauggeräusch, die mechanischen Geräusche des Motorlaufs, das Verbrennungsgeräusch, das über die Schalldämpferanlage in die Umwelt entlassen wird, die Geräusche des Getriebelaufs, ggfs. das Rasseln des Sekundärantriebs (Kette) und das Reifenabrollgeräusch. Wie zuvor angedeutet wurde, ist die Lautstärke einiger dieser Geräusche von der konkreten Fahrweise abhängig. Eine herstellerseitig garantierte 80dB-Begrenzung käme also nur mit einer gravierenden Änderung der Bauart und der damit verbundenen massiven Beschneidung der Freiheiten des Fahrers infrage. So müsste der Motor gekapselt sowie bzgl. Hubraum und Höchstdrehzahl – und damit in der Leistung – massiv begrenzt werden. Zudem müsste dem Fahrer die Möglichkeit genommen werden, selbst über das Drehzahlniveau zu bestimmen, indem bspw. ein Variomatikgetriebe verbaut wird.[20] Ein solches Produkt besteht bereits als sogenannter Roller, der i.d.R. mit den Führerscheinklassen M, B oder A1 fahrbar ist und aus Sicht vermutlich nicht weniger Motorradfahrer allenfalls in der Radkonfiguration als einspuriges Fahrzeug eine Ähnlichkeit mit dem Motorrad aufweist. Als eine weitere Möglichkeit zur Einhaltung des geforderten Schallpegelgrenzwerts wird das häufig als leise angepriesene und deshalb im selben Atemzug geforderte Elektromotorrad angesehen. Doch auch diese Motorradgattung kann so bewegt werden, dass die 80dB überschritten und Motorräder mit Verbrennungsmotor dabei gar übertönt werden.[21]

Was das individuell vom Fahrer einstellbare „Sound-Design“ betrifft, muss konstatiert werden, dass ein solches in Motorrädern, die den legalen Bestimmungen entsprechen, überhaupt nicht existiert. Die vom Fahrer moderner Motorräder wählbaren Fahrmodi – auch bekannt unter dem englischen Begriff „riding modes“, bestimmen über ein Komplex unterschiedlicher Fahrzeugparameter, was je nach Motorrad u.a. das Ansprechverhalten der Traktionskontrolle, die Einstellung des Motorschleppmoments, das Ansprechverhalten des elektronischen Gasgriffs (Ride-by-Wire-System) und den Drehmomentverlauf des Motors beinhaltet. Ein unterschiedliches Lautstärkeniveau wird in diesem Sinne nur sehr indirekt über den gewählten Fahrmodus erreicht, etwa indem im Regenmodus ein verzögertes und weniger starkes Ansprechen des Gasgriffs, eine Abflachung der Drehmomentkurve und ein Herabsetzen der Höchstdrehzahl dafür sorgen, dass der Fahrer weniger spontan und in geringerem Umfang Leistung abrufen kann. Auch tragen serienmäßige und unmodifizierte Klappenauspuffsysteme nicht dazu bei, dass der Fahrer sich seinen „Sound“ oder sein Lautstärkeniveau frei aussuchen kann. Die Klappe dient nicht bloß bzw. nicht in erster Linie dem herstellerseitigen Sounddesign, sondern wird eingesetzt, um die Erfordernisse der im Zuge der EURO-Normen immer strenger werdenden Emissionsgrenzen mit einer vom Fahrer als positiv wahrgenommenen Fahrbarkeit, Leistungsentfaltung und auch Motorsound zu vereinen. Die Klappenstellung wird demnach von verschiedenen Faktoren wie dem eingelegten Gang, dem Drehzahlniveau und der Gasgriffstellung beeinflusst, sodass der Fahrer nur sehr indirekt und begrenzt darüber entscheiden kann.

Unter den Maßnahmen der dritten Kategorie sind diejenigen zu verstehen, die nicht an der Technik sondern am „Faktor Mensch“ ansetzen und bei Motorradfahrern eine Verhaltensänderung herbeiführen sollen.

Hier sind als erstes verkehrsrechtliche Maßnahmen zu nennen. Als in dieser Hinsicht zielführend können Ansätze angesehen werden, die durch höhere und häufiger verhängte Strafen für ordnungswidrige Modifikationen eine präventative Wirkung entfalten sollen, bspw. im anekdotischen Fall des herausgeschraubten und im Gepäck mitgeführten „dB-Eaters“. Auch können Geschwindigkeitsbegrenzungen unter gewissen Umständen, bspw. unter Vermeidung hochtourigen Fahrens, dabei helfen, den vom Verkehr erzeugten Schallpegel abzusenken. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung für alle Fahrzeuge gilt und nicht bloß einseitig für Motorräder, wie bereits in einigen Fällen umgesetzt wurde. Zum einen erzeugen mit Rücksicht bewegte Motorräder, wie nun schon mehrfach dargelegt, nicht unbedingt einen gravierend höheren Schalldruck als gleich schnell gefahrene Autos. Der subjektiv wahrgenommene Lautstärkeunterschied könnte schlicht auf das subjektive Geräuschempfinden oder auf Unterschiede in der Lästigkeit zurückzuführen sein. Zum anderen erhöht sich durch die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Fahrzeugen und den damit verbundenen Überholvorgängen zweispuriger Fahrzeuge das Risiko von Verkehrsunfällen. Dies verringert womöglich wiederum die Akzeptanz dieser Maßnahme unter Motorradfahrern, die dadurch möglicherweise solche Geschwindigkeitsbegrenzungen bewusst ignorieren.

Neben den verkehrsrechtlichen Maßnahmen werden auch Ansätze verfolgt, die auf eine Sensibilisierung der Motorradfahrer und auf Dialoge zwischen allen Stakeholdern in der Thematik Motorradlärm setzen. Diese Ansätze sind insofern vielversprechend als sie auf der einen Seite Motorradfahrern aufzeigen, wie störend bestimmte Aktionen, Fahrstile und Modifikationen für Anwohner sind. Hier herrscht möglicherweise bei einigen Fahrern ein perspektivenbedingtes Unwissen. Auf der anderen Seite können Dialoge dabei helfen, gegenseitige Vorurteile abzulegen, technische Missverständnisse aufzulösen und mehr Verständnis und Akzeptanz für die jeweils andere Seite aufzubringen.

Zusammenfassung und Fazit

In diesem Artikel wurde das Thema Motorradlärm knapp skizziert. Nach einer kurzen Einleitung wurde Motorradlärm mit dem allgemeineren Wunsch nach Ruhe vor Verkehrslärm in Beziehung gesetzt, der vermehrt im Zuge des gesamtgesellschaftlichen Nachhaltigkeitsdiskurses genannt wird. Im nächsten Abschnitt wurde allerdings angemerkt, dass der mit dem Ruhebegriff im Widerspruch befindliche Lärmbegriff nicht etwa nach objektiven Kriterien definiert ist. Lärm beinhaltet zwar den Faktor Lautstärke, was wiederum in Teilen objektiv gemessen werden kann. Lautstärke wird allerdings auch subjektiv unterschiedlich wahrgenommen und stellt dabei nur eine Hälfte der – hier zum besseren Verständnis stark vereinfachten – Rechnung dar; Lärm beinhaltet daneben auch die Eigenschaft, dass das wahrgenommene Geräusch unerwünscht ist und als störend empfunden wird, was wiederum vollkommen subjektiv ist. Diese Subjektivität wird teilweise in der Wissenschaft, aber nicht in den verschiedenen politischen Debatten adressiert. Stattdessen werden in Lärmschutzmaßnahmen immer wieder verschiedene Schallpegelgrenzwerte, bspw. unter Bezugnahme des Arbeitsschutzes, in den Raum geworfen. Einige dieser Lärmschutzmaßnahmen wurden deshalb kategorisiert und vor dem Hintergrund der Subjektivität, der technischen Umsetzbarkeit und Wirksamkeit diskutiert.

Dabei kann festgestellt werden, dass nur die radikalen Maßnahmen der ersten Kategorie, d.h. Lärmschutz durch Ausschluss von Motorrädern, das Lärmproblem vollständig beseitigen. Ohne Motorräder kann nun mal kein Motorradlärm entstehen. Wenn allerdings nicht der Schallpegel als medizinischer Faktor das Problem darstellt, sondern eigentlich das subjektive Lärmempfinden (selbst wenn dieses auf der messbaren Lästigkeit beruht), was mit Blick auf die tatsächlichen Emissionen umsichtig gefahrener Motorräder angenommen werden kann, dann muss dies unbedingt in der Debatte thematisiert werden. Die Verhältnismäßigkeit gehört dabei kritisch diskutiert: Hat ein Mensch das Recht, vor jedem Geräusch, das ihn subjektiv stören könnte, geschützt zu sein? Ab wann muss ein Mensch vor solchen Geräuschen geschützt werden und wie soll dies messbar gemacht und umgesetzt werden? Dürfen zum Schutz der von Lärm belästigten Menschen auch diejenigen Motorradfahrer, die nicht durch eine lärmende Fahrweise auffallen, z.B. durch Fahrverbote benachteiligt werden?

Auch Abseits solcher Debatten über die Sinnhaftigkeit von Fahrverboten macht es Sinn, die Subjektivität des Lärmempfindens endlich auch in den Medien und öffentlichen Debatten zu reflektieren. So können Maßnahmen zur Lärmminderung gefunden werden, die auch tatsächlich funktionieren und dabei nicht eine große Anzahl lärmvermeidender Motorradfahrer in Kollektivhaftung nehmen. In diesem Zusammenhang sollte der dritten Kategorie der Lärmschutzmaßnahmen eine große Rolle beigemessen und mit einem konstruktiven Dialog zwischen allen Stakeholdern verbunden werden. Das Wissen darüber, warum manche Menschen Motorrad fahren sowie welche Geräuschentwicklung bauartbedingt notwendig ist und welche entweder vonseiten des Herstellers oder des Fahrers provoziert wird, könnte unter den Lärmschutzbefürwortern zu mehr Verständnis für rücksichtsvolle Motorradfahrer führen. Auf der anderen Seite könnte mehr Verständnis gegenüber dem subjektiven Leiden von Anwohnern und das Wissen über die Effekte der eigenen Fahrweise dazu führen, dass Motorradfahrer umsichtiger und lärmvermindert fahren.

Literatur

Bibliographisches Institut GmbH (Hrsg.). Lärm. Abgerufen am 19. November, 2020 von https://www.duden.de/rechtschreibung/Laerm

Bundesamt für Umwelt BAFU. (2019). Geräuschmessung bei Motorrädern. Untersuchung an neuen sowie im Gebrauch stehenden Fahrzeugen. Im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU)

Huth, C., Eberlei, G., & Liepert, M. (2020). Überprüfung der Geräuschemissionen von Motorrädern im realen Verkehr. Abschlussbericht. Abgerufen von https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/texte_161-2020_ueberpruefung_der_geraeuschemissionen_von_motorraedern_im_realen_verkehr.pdf

Sellmann, M. (2019) Was ist Psychoakustik? soundexperts.de. Abgerufen am 19. November, 2020 von https://soundexperts.de/was-ist-psychoakustik/

Strasser, H. (2017). Trends in der Messung, Bewertung und Beurteilung von Lärm sowie seinen auralen und extra-auralen Wirkungen – Ein Positionspapier. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 71, 189-203.

Umweltbundesamt. (2020) Straßenverkehrslärm. Abgerufen am 19. November, 2020 von https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/verkehrslaerm/strassenverkehrslaerm#gerauschbelastung-im-strassenverkehr

World Commission on Environment and Development (WCED). (1987). Our common future. Oxford; New York: Oxford University Press.

  1. Bei Erwähnung von allgemeinen Berufsbezeichnungen, Kategorien von Personengruppen etc. wird zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Maskulinum verwendet. Es sind aber grundsätzlich alle sozialen und biologischen Geschlechterkategorien gemeint.

  2. „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs” (World Commission on Environment and Development (WCED), 1987).

  3. Umweltbundesamt, 2020

  4. Bibliographisches Institut GmbH (Hrsg.)

  5. Huth, Eberlei, & Liepert, 2020, S. 67

  6. Ebd.

  7. Für eine umfassendere Beschreibung, vgl. ebd., 67ff.

  8. Ebd., S. 68

  9. Ebd.

  10. Ebd.

  11. Ebd.

  12. Ebd., S. 69

  13. Sellmann, 2019

  14. Bundesamt für Umwelt BAFU, 2019, S. 75f.

  15. Strasser, 2017

  16. Bundesamt für Umwelt BAFU, 2019

  17. Ebd., S.11

  18. Bundesamt für Umwelt BAFU, 2019, S. 10

  19. BR-Drucks. 125/20, S. 2

  20. Bundesamt für Umwelt BAFU, 2019, S. 12

  21. Ebd., S. 10.