Elektrisch für Anfänger ‐ ein Verbrennungsliebhaber im Selbstversuch

Elektrisch für Anfänger ‐ ein Verbrennungsliebhaber im Selbstversuch

Berlin – 01.09.2020

Viel wird geschrieben, geredet, diskutiert…über das Für und Wider des Elektro‐Motorrades. Wissen und Fühlen gefallen mir schon seit je her besser als Hören und Sagen und so rutscht der Test eines elektrisch angetriebenen Zweirades auf die Liste meiner Vorhaben.

Bis über alle Ohren verliebt in meine betagte K13S werde ich kurzerhand beim örtlichen Zero‐Dealer in der Hauptstadt vorstellig und schildere mein Anliegen. Frei von jedwedem Bürokratieaufwand steht zwei Tage später ein Zero SR/S für mich bereit. Und als hätte meine geliebte K es gespürt und
um Hilfe gerufen … Regen.

„Und das macht Spaß, bei dem Wetter?“ begrüßt mich der Verkäufer. „190 Nm am Hinterrad trocknen doch den Asphalt, oder?“ provoziere ich zurück. Papiere, Einweisung und allein bin ich mit dem Gerät. Meine heiß geliebte K steht in Sichtweite und beobachtet die Szenerie.

Das klare Display verrät mir, dass ich im eingestellten Eco‐Modus bei 98%‐iger Akkuladung 221 Testkilometer vor mir habe. Blinker, Licht, Starter…alles am gewohnten Platz. Gut, am breiten Lenker nur einen Hebel für die rechte Hand, naja, wird schon irgendwie gehen. Also Aufsitzen und sortieren. Für meine 192 cm kommt die SR/S mit einer (zu) niedrigen Sitzposition daher. Der Kniewinkel ist entsprechend eng, der Lenker dicht am Oberkörper. Kerzengerade throne ich auf dem Gerät, sortiere
abwechselnd links und rechts meine Haxen und höre meine K im Hintergrund feixen. Die unterhalb des Lenkers angebrachten, weit ausladenden Spiegel bieten eine ausgezeichnete Rücksicht. Na bitte.

Killschalter auf RUN, ein letzter liebevoller Blick in Richtung meiner K und vorsichtig am Griff gedreht. Es rollt, sanft und leise. Vor lauter Überraschung sogleich der beherzte Griff zur Bremse und mit der
Linken direkt ins Leere. Kupplung…Fehlanzeige. Ja,ja…die Gewohnheit. Das Lachen meiner Herz‐K‐Dame ist nicht zu überhören. Sachte wieder angerollt, Blinker links und runter vom Hof auf die Straße. Puh, das ging schon mal gut. Beim ersten Blick auf das gut ablesbare und informative Display bin ich bereits 34 km/h zu schnell für die Ortslage. Fahren nach Gehör kann also nicht der Weg sein und dabei habe ich noch nicht mal geschaltet. Stimmt ja, werde ich auch nicht, nahezu alles geschieht
einhändig.

Auf direktem Weg raus aus der Stadt südwärts. Ampelstopps sind völlig entspannt, kein Kuppeln, kein Schalten und keine Frage, wer den Spurt zur nächsten für sich entscheidet. Stadtautobahn, der Zero‐Spezi sagte was von Tempomat. Den probiere ich mal. Der Schalter zur Aktivierung mit dem
rechten Daumen ist während der Fahrt etwas schlecht zu erreichen. Zudem lässt sich die Geschwindigkeit nicht mit Tippen korrigieren und so rolle ich mit den zufällig getroffenen 86 km/h dahin, nahezu lautlos. Naja, 6 drüber, wird keiner meckern. Ich nähere mich einem vor mir fahrenden LKW, kurzer Blick in den Spiegel, Schulterblick, Blinker links und…halt die Frau fest. Was für ein Schub. Und das ohne Runterschalten. Der Pirelli Diablo Rosso lässt sich nichts anmerken und auch die serienmäßige Traktionskontrolle sah keinen Anlass zum Eingriff. Fein.

Der Regen lässt nach, ich verlasse die Autobahn und entschwinde auf die Landstraße. 14 km im Eco‐Modus gefahren, Akkuladung 89%, Range 176 km. Ich bin verunsichert. Ein Ladekabel habe ich nicht dabei. Egal, der Zero‐Fachmann sagte, das reicht. Der beabsichtigte Wechsel in den Sportmodus erfordert einen kurzen Stopp am Fahrbahnrand, da er nur im Stand vollzogen werden kann. Blinker links, wieder rauf auf die Piste. Die 120 sind schnell erreicht, also immer wieder der Kontrollblick auf
das Display. Man hört einfach nichts, nur den Wind am Helm. Vier, fünf PKW´s werden im Gleitflug genommen, der Antritt ist sensationell, die Kraftentfaltung eine homogene Wucht. 46 km gefahren,
Akkuladung 68%, Range 131 km. Hilfe.

Meine Fahrweise wird verhaltener. Stehen bleiben irgendwo ohne Strom, lieber nicht. Von meiner geplanten Route über 120 km verabschiede ich mich gedanklich. Ich kürze ab. Eine kurvige Strecke auf feinem, mittlerweile trockenem Asphalt ruft nach Schräglage. Der breite Lenker nebst aufrechter Sitzposition macht es mir einfach. Die (für mich zu) weiche Gabel bringt beim Anbremsen etwas Unruhe in die Fuhre. Einmal auf Kurs, zieht die relativ schwere Zero mit deutlich hörbar schleifenden
Fußrasten ihre Bahn und zaubert mir beim Rausbeschleunigen ein Grinsen unter den Helm. Fetzt. Ich schlängle mich durch den Wald und sehne mich ein wenig nach der Präzision meiner K. 57 km gefahren, Akkuladung 52%, Range 92 km. Um Himmels Willen…

Ich stoppe, schalte in den Eco‐Modus. Der regelt zwar bei 120 km/h ab, aber schieben will ich auch nicht. Auf dem Display erscheint plötzlich das Symbol eines beheizten Griffes. Ich hab nichts gemacht, denke ich, spürbar ist auch nichts und einen Schalter finde ich nicht. Ich frage den Dealer,
wenn ich zurück bin.

Einige Ortsdurchfahrten und Kreisstraßenabschnitte später zeigt das Display 71 gefahrene km, eine Akkuladung von 41% und eine Range von 64 km. Die Straße ist holprig und das Fahrwerk muss zeigen, was es kann. Sowohl das Showa‐Zentralfederbein als auch die Upside‐Down‐Gabel bieten
Möglichkeiten für ein individuelles Fahrwerks‐Setup. Mir fehlen dafür die Zeit und das Werkzeug. So holpere ich über die schlechte Piste und versuche, das Vorderrad auf Kurs zu halten. Zum Glück ist es trocken. Das Umschalten zwischen den vier Modi „Eco“, „Road“, „Rain“ und „Sport“ verkneife ich mir und bleibe im vermeintlich sparsamsten. Zusätzlich besteht auch die Möglichkeit via App einen individuellen Modus zu erstellen. Diese gibt es aber erst beim Kauf des Stromers.

Ich nehme wieder Kurs auf den Ausgangspunkt. Der Routenplaner meines Handys gibt mir 16 km bis zum Ziel aus. Nervosität kommt auf. Wenigstens die Bremsen des Gerätes will ich nochmal ins Gebet nehmen. Die vordere Zange punktet mit klarem Druckpunkt und feiner Dosierbarkeit. Volles Ankern aus leicht überhöhter Landstraßengeschwindigkeit bringt das Gefährt nicht aus der Ruhe und schon gar nicht aus der Linie, lediglich das ABS am Vorderrad löst recht ruppig aus. Das bin ich feiner und vor allem später gewohnt. Aber beim Thema Fahrwerks‐Setup waren wir ja schon.

25 Minuten und einige besorgte Atemzüge später rolle ich wieder auf den Hof des Zero‐Dealers. 87 gefahrene Kilometer, 25% Akkuladung und 31 km Range zeigt das Display. Der Verkäufer schaut mich fragend an. Ich lasse ihn nicht im Unklaren über meine Eindrücke.

Ergonomie & Funktionalität:
für lange Fahrer zu niedrig und Lenker zu dicht am Oberkörper, Windschild nur Alibi, Schalter und
Hebel (bis auf Tempomat) gut angeordnet

Leistung & Dynamik:
Schub ohne Ende und eine sensationelle Kraftentfaltung ohne Einbruch

Optik & Design:
schön ist anders, edel ist auch anders, aber solider Gesamteindruck

Komfort:
Einstellungsmöglichkeiten der Dämpfer und verschiedene Fahrmodi ermöglichen Individualismus

Ladung & Reichweite:
Ladung nicht getestet, Reichweite geht gar nicht, selbst für Tagestouren untauglich

Preis:
zu viel für zu wenig Motorrad

Fazit:
ein leises, teures und nicht alltagstaugliches Spielzeug für Leute mit viel Geld, Kurzstreckenaffinität und Spaß am Beschleunigen

Ich bedanke mich beim Verkäufer für die Möglichkeit der Probefahrt, erfrage die Mietkonditionen für einen ausgedehnten Tagestrip und kehre zurück zu meiner K. Aufsitzen, Starter betätigen und jaa….ihr Schnurren verrät mir, dass sie genau weiß, wie sehr ich sie nach 11 Jahren und 124.000 km liebe.

Lars Böhler – www.schraeglagenfreiheit.de


Technische Daten und Informationen zur Zero SR/S:
https://www.zeromotorcycles.com/de‐de/model/zero‐srs