‐die Posse von Lärmschutz und Gemeinnützigkeit‐
Autor: Lars Böhler
Das Vorhaben, aus dem Leid Anderer Kapital schlagen zu wollen, ist keine neue Erscheinung, jedoch ist es ebenso verwerflich, wie es alt ist. Zumeist erkennen die zunächst dankend Annehmenden erst spät und um einige Taler ärmer, dass sie hinter das geführt wurden, was sie als Licht am Ende des Tunnels wähnten. Enttäuschung, Frust und nicht selten Kurzschlussreaktionen sind das Ergebnis.
Mit dem Posten eines Ortsvorstehers oder Bürgermeisters eines beschaulichen Ortes in unmittelbarer Nähe zu einem der zahlreichen, filigran geschlängelten Aspahltbändchen in unserem schönen Land möchte ich nicht tauschen. Wird doch die Harmonie in vielen dieser Oasen der Ruhe durch jährlich steigende Zulassungszahlen motorisierter Fahrzeuge auf eine harte Probe gestellt. Die ortsansässigen, mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ausgestatteten und sich nach Ruhe sehnenden Bürger und Wähler auf der einen, die mit dem Recht auf individuelle Mobilität ausgestatteten ortsfremden Verkehrsteilnehmer auf der anderen Seite, atmet der Eine oder Andere auf diesem Posten gelöst durch, wenn die Wetter App für Samstag und Sonntag Dauerregen prophezeit. Ruhe…vor den Beschwerden und den Durchfahrten. Die paar versprengten Regentrotzer nimmt man nicht ernsthaft wahr, da man sich selbst für den kuscheligen Platz vor dem Kamin entschieden hat. Alles gut.
Wären da nicht diese sonnigen und trockenen Abschnitte zwischen April und Oktober, die auch noch alle 5 Tage in einem Wochenende gipfeln, an denen gefühlte Heerscharen zwei‐, drei‐, vier‐ oder noch mehrädriger Kraftfahrzeuge das ruheverwöhnte Anwohnerohr stressen. Wenn man doch da nur was machen könnte. Die einberufene Bürgerversammlung nimmt den Bürgermeister in die Pflicht und stattet ihn unter deutlicher Erinnerung an die Wahl im nächsten Jahr mit dem Auftrag aus, sich zu kümmern. Und klar, er kümmert sich. Wohlwissend, dass er über die Nutzungsrechte des sein Örtchen streifenden Sträßchens nicht nach Gutsherrenart verfügen kann, wendet er sich an die zuständige Behörde und trägt sein Anliegen vor. Rasch erklärt man ihm dort die Möglichkeiten, oder besser, die Unmöglichkeiten einer Veränderung im Sinne seines Bürgerauftrages. Die ihm geneigten Bewohner nehmen die Kunde missmutig hin und er hofft auf Regen für nächsten zwei Wochenenden,
dann nämlich steht das Dorffest an und die Straße ist ohnehin gesperrt. Und so eine gesperrte, nur für Anwohner passierbare Straße bietet allerhand Vorteile. Vor allem ist sie leise. Und mit der Ruhe kommen Ideen. Jedes Wochenende Dorffest ist schwierig und vor allem teuer. Aber wie wäre es, wenn die Strecke vollständig…und vielleicht auch nur an Wochenenden…naja…
Etliche Sitzungsabende der Kommunalpolitik und Schreiben an die Landesregierung später wird klar… Tempolimit, Streckensperrung, temporäre Fahrverbote …alles nicht so einfach. Jeder Hilferuf zieht
die gleichen Antworten nach sich. Die Hoffnung auf Besserung schwindet, der Unmut der Bewohner wächst. Und die Legislaturperiode ist auch schon wieder um.
Doch wenn Du denkst, es geht nichts mehr, kommt von irgendwo ein Lärmschützer her. Für nur mehrere tausend Euronen Eintritt verspricht er die Lösung des Problems und schließlich lassen sich ja im weltweiten Netz einige Amtskollegen finden, die sich den Heilsbringern bereits angeschlossen haben. Nun wird alles gut, lautet die Botschaft an die Bewohner und die Taler aus dem öffentlichen Säckchen fühlen sich gut investiert an. Der Forderungskatalog der Lärmschützer ist schließlich eine
Wucht. Eine forsche Aneinanderreihung von gefühlt längst fälligen Forderungen und Maßnahmen zum Wohle der Bewohner. Und keine Frage, so professionell, wie die Internetpräsenz der Retter daherkommt, muss einfach alles seriös und fachlich korrekt sein. Eine Hochglanz‐Eventagentur hätte es nicht besser hinbekommen.
Die eigentliche Erleuchtung besteht jedoch darin, dass den Gebeutelten erklärt wird, was genau sie stört, ihre Lebensqualität beeinträchtigt, sie möglicherweise sogar krank macht. Ihnen werden die Ohren geöffnet. Es ist nicht etwa die Geräuschkulisse der die Straße nutzenden Fahrzeuge, nein, es ist der Motorradlärm.
Die unternehmerischen Hausaufgaben sind gemacht, denn die Basis für das gewinnbringende Verkaufen ist der Bedarf. Ist dieser geweckt, öffnet sich der Markt und sollte er in Ermangelung an Existenz nicht geweckt werden können, wird er kurzerhand erschaffen. Fakten, rechtliche und physikalische Grundlagen sowie technische Zusammenhänge dürfen hierbei nicht zu hoch gehängt werden, vielmehr muss die Emotionalität im Vordergrund stehen. Kaum auszudenken, wie eine sachliche Betrachtung des Forderungskataloges die einzelnen Punkte inhaltlich pulverisieren würde. Den Lärmschützern könnte der Markt wegbrechen, bevor er sich richtig öffnet und den nach Erlösung lechzenden Käufern des Produktes könnten neben den Ohren plötzlich auch die Augen geöffnet werden. Am Ende stünde womöglich noch die Gemeinnützigkeit des Handelns in Frage und jemand könnte auf die Idee kommen, die Rechtmäßigkeit der Verwendung und Annahme öffentlicher Gelder zur Finanzierung gewerblicher Projekte zu hinterfragen. Lieber nicht. Also rasch die nachbarschaftlichen Wahlkreis‐Wohnortverflechtungen genutzt und einen prominenten Fürsprecher und Unterzeichner aktiviert, um dem Ganzen den letzten Schliff zu geben und die Finger an den Öffnungsmechanismus der Fleischtöpfe zu bekommen. Man kennt sich rund um den Luftkurort in der Eifel. Und man hat Ziele.
Etwas weiter südwestlich hat man das Geschehen im Blick und frohlockt. Verboten und Restriktionen im Sinne der eigenen Ideologie steht man hier ohnehin offener gegenüber als anderswo und auf einen im Anrollen befindlichen Zug, dessen Fahrtrichtung zur eigenen Linie passt, lässt es sich
bequem aufspringen. Die Feinde der Gesellschaft und Störenfriede der Beschaulichkeit sind auch hier identifiziert und es ist klar, wen und was es bekämpfen gilt. Das Motorrad nebst Nutzer und den von selbigem verursachten Lärm, somit den Motorradlärm.
Um den bereits finanziell zur Ader gelassenen Gemeinden etwas für die ausgetüteten Flöhe zu bieten, wird der Problemball entschlossen und höchst öffentlichkeitswirksam per Bundesratsinitiative in das Spielfeld der Bundesverkehrspolitik gespielt. Alle Farben aus 13 von 16 Bundesländern beteiligen sich am Wettbewerb der Sinnlosigkeiten mit der klangvollen Bezeichnung Drucksache 125/20, so dass die auf Abhilfe lauernden von einem taktisch durchdachten Spielzug ausgehen. Aber….Abseits!
Zuständigkeiten…ausser Acht gelassen. Geltendes Recht…ignoriert. Bestehende Möglichkeiten…nicht umgesetzt. Grenzwerte…technisch utopisch. Biker…diskreditiert und pauschal verurteilt. Lärmbelästigte…getäuscht und frustriert. Ergebnis…Fronten verhärtet!
Politisches Gestalten mit dem Ziel eines fairen, sozialverträglichen Interessenausgleichs sieht anders aus. Doch mit dem hierfür erforderlichen Dialog lässt sich kein Geld verdienen und zudem erfordert dieser ein echtes Interesse an einer Problemlösung. Selbstredend kann der einst erwartungsfrohe, an stark frequentierten und auch bei Bikern beliebten Strecken wohnende noch den Videobeweis zur Spielsituation abwarten, aber eigentlich weiß er schon, dass die Aktion nur zurückgepfiffen werden
kann. Ein „Geld zurück“ – Button ist auf den Internetseiten der Erfinder des selektiven Begriffs Motorradlärm ebenso wenig zu finden, wie eine solche Option in ihren AGB´s…oh, sorry…Satzungen.
Keine schöne Situation und das für alle. Wie wäre es nun, die seit Monaten landesweit ausgestreckte Bikerhand zu ergreifen? So ganz verrückt, mit gegenseitigem Respekt und Verständnis den eigenen Standpunkt verlassen, um den Blickwinkel zu ändern, ganz ohne Beleidigungen und dafür mit einem regen Ideenaustausch. Motorradverbände und ‐Initiativen, Motorradclubs und ‐vereine, Bikergruppen und Einzelaktivisten haben in den wenigen Monaten seit dem Auftauchen dieser unsäglichen Drucksache ehrenamtlich mehr für das Miteinander und die sachliche Ansprache der
Problemfälle in den eigenen Reihen auf den Weg gebracht, als es die Befürworter von Ausgrenzung und Verboten in den vielen Jahren zuvor vermochten. Einfach weil sie es wollen und können. Den Versuch ist es wert, denn Eins ist klar…Gewinner wird es im Falle einer weiteren Eskalation nicht geben.